14.08.2009

3 Days of Peace & Music | Part 3





«Woodstock hat etwas berührt, einen Nerv in diesem Land. Und einfach jeder kam», sagte der Künstler Arnold Skolnick, der das legendäre Festival-Poster mit dem einbeinigen Vogel auf dem Gitarrengriff schuf. Wohl am besten verlieh Jimi Hendrix der Stimmung Ausdruck, als er zum Abschluss auf seiner weissen Stratocaster Star die Nationalhmyne Spangled Banner buchstäblich in der Luft zerriss.
Der damals 24 Jahre alte Produzent Michael Lang wollte mit einem Freund Geld für sein Studio in dem Ort Woodstock auftreiben und fand zwei potente Mitstreiter für die Festival-Idee - «Woodstock Ventures» wurde gegründet. Doch dann kam alles anders als gedacht.
Das Festival fand gar nicht in Woodstock statt, sondern in Bethel. Statt der anfangs erwarteten 50,000 Besucher kamen eine halbe Million Menschen. Noch einmal so viele blieben im Verkehr stecken oder mussten umkehren, weil die Polizei die verstopften Strassen sperrte. Und als es gleich am ersten Abend wie aus Kübeln goss, verwandelte sich die riesige gemietete Wiese des Bauern Max Yasgur in eine einzige Schlammgrube. «No Rain, No Rain», riefen die Blumen-Kinder, aber es nützte nichts.




Auf dem Gelände brach bald das Chaos aus. Schon nach einem Tag gab es an den Ständen nichts mehr zu essen, Trinkwasser wurde rationiert, nur Drogen aller Art waren reichlich zu haben. Eine jüdische Gemeinde in der Nachbarschaft schmierte 30,000 Brote, Nachschub musste mit dem Hubschrauber eingeflogen werden. Und weil die 600 PortaKlos auch nicht annähernd ausreichten, waren die hygienischen Verhältnisse bald unbeschreibbar.
«Es war einfacher zu vögeln, als sich ein Frühstück zu organisieren», schrieb der Rolling Stone. Doch der Stimmung tat das keinen Abbruch. Vom improvisierten «Freedom! Freedom!»-Song von Richie Havens über Joan Baez' Hymne an die Freiheit We Shall Overcome bis zum spektakulären Auftritt von The Who liess sich das Publikum drei Tage lang von der mit Botschaften geschwängerten Musik mitreissen.





Wie durch ein Wunder blieb alles friedlich. Und dass es auch bei den Musikern einen Haufen Pleiten, Pech und Pannen gab, ging im Rausch des Wir-Gefühls meist unter. «Ich war voll high und konnte nur zu Gott beten, dass er mich im Rhythmus hält», erzählt Carlos Santana, der damals gerade sein Debut Album aufgenommen hatte. «Meine Gitarre fühlte sich an, als sei sie aus Gummi. Und ich hatte das Gefühl wie ein Lachs, der die Stromschnellen hochspringt.»

Finanziell wurde das Konzert ein Desaster. «Wir haben an dem Wochenende rund anderthalb Millionen Dollar versenkt», sagt Lang. Die nachträgliche Vermarktung durch Warner Brothers brachte dagegen ein Vielfaches in die Kassen. Zum Jubiläum sind zahlreiche Neuauflagen der Musik , ein gutes Dutzend Bücher und die fette DVD Box Woodstock - 3 Days of Peace & Music erschienen. Der Oscar-prämierte Film, der bei Millionen den Mythos Woodstock erst richtig begründete, wurde dafür restauriert und digital remastered. Die Box ist eingepackt in eine Fransen-Lederjacke und besteht aus 2 DVDs mit dem Director's Cut von Michael Wadleigh, der den dreitägigen Festival-Marathon im August 1969 vor und hinter den Kulissen mitgeschnitten hat.

Kernstück der mit faksimilierten Tickets, Fact-Sheet, einem Nachdruck vom Life Magazine über das Festival und anderen Andenken ergänzten DVD-Retrospektive sind aber die «Untold Stories" (Disc 3). Gemeint sind jene Auftritte, die Wadleigh einst nicht in seinen Film eingebaut hat: Joan Baez mit «One Day at a Time» oder Santana mit «Evil Ways» zum Beispiel, Creedance Clearwater Rival mit «I Put a Spell on You» oder Jimi Hendrix mit «Spanish Castle Magic» ­ alle 24 Songs ungeschnitten, einzeln anklickbar und in voller Länge.

Die vierte Disc wurde schliesslich für Rückblicke reserviert: Festival-Macher, Künstler und Zeitzeugen erzählen aus heutiger Sicht kleine und grosse Geschichten von damals - darunter Hugh Hefner, Michael Lang und Martin Scorsese.

Martin Scorsese, der damals am Schnitt beteiligt war, erinnert sich in einem Vorwort zum Buch Woodstock: Three Days That Rocked The World vor allem an einen knurrenden Magen und chaotische Arbeitsbedingungen: «Was uns geholfen hat, war der Gedanke, dass wir bei etwas Grösserem mitmachen als bei einem Rock Konzert - dass wir vielleicht bei einem wirklich historischen Ereignis dabei sind.»
Auch die mit sechs CDs und einem fett bebilderten Booklet ausgestattete CD-Box Woodstock 40 kann sich sehen lassen. Die Zusammenstellung der Live-Aufnahmen folgt ­ anders als der Film ­ der tatsächlichen running order. Zur Eröffnung spielte am 15. August 1969 Richie Havens und zum Ausklang interpretiert Jimi Hendrix The Star-Spangled Banner.
Die 6 CD-Chronologie rühmt sich, die «bisher vollständigste» Sammlung mit Live-Aufnahmen aus Woodstock zu sein. Von Arlo Guthrie bis Grateful Dead, von The Who über Jefferson Airplane bis Janis Joplin, lassen insgesamt 29 Acts mit 77 Songs von sich hören, darunter 38 bisher unveröffentlichte.

Einzigartig ist auch das Buch Woodstock (deutsche Version von Woodstock - Three Days That Rocked the World) das noch einmal deutlich macht, warum Woodstock von einem Fest im Matsch zum Mythos wurde: es ist die Kraft der Bilder. Der Bilder, die das Geschehen auf, vor und hinter der Bühne dokumentieren. Und die deutlich machen, mit welchen Hindernissen die Zuschauer auf dem Festival und auf dem Weg zum Gelände zu kämpfen hatten.

Heute stehen auf dem Festival-Gelände ein Museum und ein Gemeinde Center, auf der eingezäunten Wiese sind Camping und laute Musik verboten. Und dass sich auch sonst seit den Zeiten der Hippies einiges geändert hat, musste Organisator Lang bitter erfahren. Für geplante Revival-Konzerte in New York und auf dem Berliner Flughafen Tempelhof fanden sich nicht ausreichend Sponsoren. Aber Mythen lassen sich sowieso nicht wiederholen.




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